Mittwoch, 16. Juli 2008

Der Tag der Wahrheit: GUTENBERG MRATHON MAINZ

Der Trainingsplan neigte sich immer mehr dem Ende. Die harten Intervalleinheit (z.B. 3 x 5000m in je 21:00min) wie auch die langen Sonntagsläufe von bis zu 37km (in ca. 5:00min/km) lagen hinter mir, der GUTENBERG MARATHON durfte kommen. Ich war heiß darauf, die 42,195km hinter mich zu bringen. Am Samstag vor dem Rennen hatte ich mir dennoch ein ordentliches Programm zurecht geschustert: Neben einem lockeren 5km-Lauf zur Beruhigung stand noch die Startnummernausgabe, für die ich nach Mainz musste und ein Neopren-Testschwimmen in Gelnhausen auf dem Programm. Ja, das Ende des Marathon-Trainigsplans ist kurz vor Beginn des IRONMAN 70.3-TRainingsplans, da muss man sich schon mal eine zweite Haut aus Neopren zulegen. Außerdem hatte ich meinen "Fanblock" zum Essen eingeladen, wofür ich auch noch einige, zumeist kohlenhydrathaltige Utensielien besorgen musste. Rückblickend würde ich mir einen solchen Tag beim nächsten Mal definitiv etwas lockerer gestalten. Nachts konnte ich obendrein auch noch - wie zu erwarten - kaum pennen, was mich Morgens, als gegen 5:15h der Wecker klingelte, nicht besser aussehen ließ. Um 6:00h nahm ich - wie geplant - die S-Bahn nach Mainz. Meine Marathon-Warm-Up-MP3-List baute die gewünschte Spannung auf. Mein eigens kreiertes Müsli verspeiste ich aus einer Dose während der Fahrt. Um Punkt 7h gab ich meine Eigenverpflegung bei den Helfern in der Rheingoldhalle ab. Tausend Dank nochmal an Jochen, der Freitags für mich die Flaschen beschriftet und gekennzeichnet hatte!!! Ich habe sie alle leicht wiedergefunden während des Laufs!
Nach der Abgabe hatte ich nun fast 2,5h Zeit, mich ein letztes mal zu entspannen. Ich trank Kaffee, schlenderte über die Marathon-Messe, sah mir Norman Stadlers letzten IRONMAN-SIEG auf Haiwai am Powerbar-Stand auf einem Flatscreen an... Ich war mächtig nervös, das nur nebenbei!
Gegen 08:30h, begann ich, wie mittlerweile hunderte andere Starter neben mir, mich "startklar" zu machen. Es ist ein so spannungsgeladenens Gefühl, wenn tausende Menschen dem Start entgegenfiebern, auf den sie sich alle so lange Zeit vorbereitet haben... Man kann es fühlen: Es ist wie Strom!
Gegen 9:10h begab ich mich zur Startblock 1. Mit einer angestrebten Zeilzeit von unter 3 Stunden steht man relativ weit vorne, nur die "Außerirdischen" stehen noch ein paar Meter entfernt Richtung Startlinie. Mit Außerirdischen betitele ich salopp alle Menschen, die es fertig bringen einen Marathon unter 2:30h zu laufen, Fabelzeiten, die mir logisch nicht zugänglich sind und vor denen sich meine Wenigkeit erfürchtig verneigt!
Um 9:25h pinkelte ich dem Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck, gepflegt mit etlichen anderen vor die Füße. Er ragte auf der linken Seite der Startlinie auf einem Podest mit der Startpistole bewaffnet empor. Dennoch war das davor angelegte Blumenbeet, die einizge Möglichkeit für uns (ja,ja, nur männlichen) Läufer, um die letzte dringende Notdurft zu erledigen. Die letzten drei Vorstartminuten wurden angekündigt. Ich konnte das Pochen meines Herzens hören. Vor mir erkannte ich Susanne Hahn, die sich neben dem Deutschen Meistertitel auch das Ticket für die olympischen Spiele in Peking mit diesem Rennen lösen wollte. Der Gedanke neben solchen "Außerirdischen" zu stehen, zerstörte jeglichen Versuch, ruhiger zu werden. Noch 60 Sekunden... Jetzt verschwammen die Stimmen um mich herum zu einem dicken Brei. Und dann: Peng!!! Es ging los... Plötzlich waren alle Stimmen wieder voll da, Menschenmengen jubelten. Irgendwo hörte ich meinen Vater meinen Namen rufen... Kilometer 1 geschafft... In: 4:00min! Etwas zu schnell, aber was man hat, hat man! (Trainingswissenschaftler greifen sich bei solchen Floskeln an den Kopf und wissen das diese Taktik schnell nach hinten losgehen kann)... Die Marschroute war klar: 4:15min/km war das Tempo, das mich unter die 3-Stundenmarke hieven würde...
Die ersten Kilometer liefen sehr gut. Ich unterbot die Tempovorgabe immer um einige Sekunden, so dass ich Durschnittsgeschwindigkeiten zwischen 4:00 und 4:15min/km erreichte. Dieses Tempo konnte ich bis zur Hälfte locker halten. Nach einigen schwächeren Kilometern um die 4:20min/km stabilisierte ich mich wieder. Ich hatte mir ja eh ein kleines Polster zu Beginn des Rennes herausgearbeitet. Den Halbmarathon legte ich in 01:28:36h zurück... Meine Rechnung war, die zweite Hälfte bis zu drei Minuten langsamer laufen zu können, um meine Zielsetzung "SUB3" noch zu erreichen. Als es etwa bei Kilometer 27-28 dann wieder zürück von Mainz-Kastel über den Rhein ging, hatte ich noch sehr gute Beine. Meinen Eltern gab ich "den Daumen oben" als Zeichen, dass ich noch Luft hatte. Etwa zu diesem Zeitpunkt bemerkte ich eine Frau, die in etwa das selbe Tempo lief wie ich. Irgendwann fragte sie mich, ob sie sich an mich ranhängen dürfte. Ich bejahte dies selbstverständlich. Später sollten wir Schulter an Schulter gemeinsam über die Ziellinie laufen, jeder von uns wohl zu schlapp, um den anderen abzuhängen, jeder wohl auch ohne das Bedürfnis, denn wer die letzten ca. 15km eines Marathonrennens nebeneinander herrennt, der muss sich nicht zwingend kurz vor dem Ziel von seinem - aus dem Nichts erschienenen - Pacepartner absetzen... Irgendwie haben in solchen Situationen beide gewonnen... Wenn ich dies bis dahin nicht genau wusste, dieses Erlebnis hat es mir verdeutlicht.





Schulter an Schulter bis zur Ziellinie!




Ab Kilometer 33 konnte ich das angedachte Tempo nicht aufrechthalten. Ich rannte mit aller Kraft, die Wadenmuskulatur drohte deshalb jeden Moment dicht zu machen und zu krampfen, das Trinken brachte auch nichts mehr... Der Mann mit dem Hammer jagte hinter mir her! Mittlerweile waren die Temperaturen auch in nervig lästige Höhen geklettert, was sein übriges zu meinem immer schlechter werdenden Zustand beitrug. Auf diesen Kilometern hörte ich auch, wie Betreuer meiner Pacepartnerin die Information zuriefen, dass sie auf Platz 8 bei der Frauenwertung der detuschen Meisterschafen rangierte. Irgendwie machte mich das stolz. Ich konnte mit der achtbesten Teilnehmerin der deutschen Meisterschaften mithalten. Die Dame hatte mich sogar gefragt, ob sie sich an "mein" Tempo ranhängen dürfe. Bei Kilometer 38 stand mein "Fanblock" das letzte mal an der Seite und feuerte mich an... Dies tat unwahrscheinlich gut... Meine neben mir herlaufende Pacepartnerin sagte mit einem Mal "Nur noch drei Kilometer, der letzte zählt nicht!" (später erfuhr ich übrigens, dass meine Begleiterin dem Geburtsjahrgang 1953 angehört! Mein Respekt gilt dir, Inge!!!)... Wir rannten so schnell wir konnten... Kilometer 39 und 40 waren die einsamsten, die ich je gerannt bin! Dann wurde es lauter... Das Ziel war zwar nicht zu sehen, aber zu spüren... Trotzdem zog sich die Strecke dorthin wie Gummi... Keine Ende in Sicht... Eine Frau, die ich von einem früheren Lauf kannte brach kurz vor mir zusammen! Ich sah nur wie aufgeregte Zuschauer hastig zu Hilfe eilten. Eines wusste ich zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits, schaltete aber jetzt erst wieder meine Uhr um, so dass ich meine exakte Zeit sehen konnte. Ich lief mit 3:03:16h ins Ziel ein... Und war zufrieden! Ich lehnte völlig erschöpft an einer Straßenampel... Alle Anspannung fiel von mir ab! Die vergangenen 10 Wochen hatte ich alles daran gesetzt, einen Marathon unter 3 Stunden zu laufen... Geschafft hatte ich es nun zwar nicht, aber ich kam meinem Ziel ein großes Stück näher! Immerhin konnte ich meine persönliche Marathon-Bestzeit um fast 8min berbessern!!! Mit meiner Platzierung bin überdies sehr zufreiden. Beim zweiten Marathon meines Lebens, den DEUTSCHEN MARATHON MEISTERSCHAFTEN 2008, erreichte ich den 141. Gesamtrang und positionierte mich in der Altersklassen-Hauptwertung auf Rang 43 (alle 20-40jährigen... das ist die Wertung, bei der man sich für Olympia qualifiziert, so man die Olympianorm von 02:16h errericht... Hat außer mir übrigens auch kein anderer deutscher Mann hinbekommen! ;-).

Am Rande sei erwähnt, dass der Ukrainer Andrej Naumov in 02:11:10h gewann und somit seinen eigenen Streckenrekord verbessern konnte. Susanne Hahn hat in Mainz all ihre Ziele erreicht, wurde in 02:29:35h deutsche Meisterin und qualifizierte sich für die Olympischen Spiele. Gute Reise!
Ich verfehlte mein angstrebtes Lauftempo um 5sek/km, lief statt 4:15min/km mit 4:20min/km im Durchschnitt etwas langsamer! Ich war nicht wirklich enttäuscht, eher emotional sehr positiv eingenommen von diesem Rennen. Großer Sport, an dem ich teilhaben durfte! Und ich hatte nach wie vor ein Ziel vor Augen: "SUB3", dann halt beim nächsten Gang nach Marathon! Um es mit Theodor Heuss Worten zu umschreiben:

„Es ist keine Schande hinzufallen, aber es ist eine Schande, einfach liegenzubleiben.“


Zwei Tage später stand ich an meiner Heimstrecke auf der Rosenhöhe... und lief los!

Ergebnisliste: http://results.mikatiming.de/2008/mainz/DM_Gender.pdf

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