Samstag, 16. August 2008

"Wo fing es an? Was ist passiert? Was hat mich bloß so motiviert?" - Aus dem Tagebuch des Eisenmännleins

Sechs Tage sind vergangen seit ich nach 05:16:35h die Finishline des IRONMAN GERMANY 70.3 vor dem Wiesbadener Kurhaus überquert habe. Genug Zeit, um den Tag an dieser Stelle Revue passieren zu lassen. Frei nach einem großen Songtext, könnte man sich im Hinlbick auf die Geschehnisse des Tages fragen "Wo fing es an? Was ist passiert? Was hat mich bloß so motiviert?" (vgl. Die Sterne "Was hat dich bloß so ruiniert?")

Doch wo fängt man zur Beantwortung dieser Fragen an, summiert sich so ein Triathlon bereits bei seiner Vorbereitung zu einem Sammelsorium an Einzelheiten, die alle ihre Bedeutung erlangen, will das Ganze sein Optimum erreichen... Wie ist es dann erst mit den Erlebnissen bei der Durchführung dieses durch "2" geteilten IRONMAN? Wie knüpft man an, will man das Dreigestirn aus Schwimmen, Radfahren und Laufen und das Gefühl, das dabei in einem entsteht, beschreiben? Schafft man es, plausibel nachvollziehbar Worte für das zu finden, was in einem emotional vorgeht, wenn man am Limit laufend das eigene Herz pochen hört, das sich - gepaart mit den Stimmen der vielen Zuschauer - zu einem Rhythmus formiert, mit dem man - im wahrsten Sinne des Wortes - mit muss!?

Wie dem auch sei, ich beginne detailverliebt und der Chronologie folgend mit dem "Hahn", der in Form des Weckers am Morgen des 10. August um 06:00h für mich krähte... Ob dies der Ansatz ist, dem die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen gelingt, sei dahin gestellt. Mit dem ganzen Spektrum meines Tagesablaufes jedoch versuche ich, meine Erlebnisse transparent werden zu lassen, was immerhin die Möglichkeit der Nachvollziehbarkeit erhöht, die tatsächlich emotionale Ebene - in meinen Augen - jedoch nur dem eröffnet, der sich selbst bereits einmal in die Ketten einer vergleichbaren AusdauerLEIDENschaft begeben hat...

An diesem Morgen benötigte der Wecker lediglich ein einizges Klingelgeräusch, um mich in die Senkrechte zu hieven. Mein am Abend zuvor vorbereitetes - und bereits bei meinem ersten Marathon bewährtes - Homemade Müsli (Amaranth, Haferflocken, getrocknete Mango, Feigen) verleibte ich mir ein, während ich mich fertig machte, wozu vor allem eine kalte Dusche gehörte... Ich merkte an diesem Morgen zum ersten Mal das, was ich den Tag über noch mehrere Male im positiven Sinne zu spüren bekam: "KRIBBELN IS A PART OF PASSION!"

Gegen 07:00h kam ich am Schiersteiner Hafen an. Jetzt galt es, meine kleine "To Do-Liste" mit Dingen, die ich bis zum Start noch zu erledigen hatte, abzuarbeiten. Das Spektrum der zu tätigenden Vorhaben reichte von Getränkeflaschen füllen über Sonnencreme auftragen bis hin zu - die Motivation fördernde - Beschriftung meines Unterarms (Text: Top Secret, logo! Zerstört sich während des Wettkampfs eh durch die Mengen an Flüssigkeit, die über einen geschüttet und aus einem austreten!!!)
Gegen 07:45h lief ich mich etwas warm, erledigte die Morgentoilette und quetschte mich in meinen Neoprenanzug! Während dessen gingen die Profis auf die Strecke! Es folgten alle weiblichen Starterinnen! Man konnte förmlich spüren, wie das Gewusel in der Wechselnzone hektischer wurde. An mir merkte ich in dieser Phase an diesem Morgen bereits zum zweiten Male: "KRIBBELN IS A PART OF PASSION!"

Genau um 08:05h wurden alle Athleten der Altersklasse der 30-34jährigen in die Vorstartzone gebeten. Es wirkte sehr beeindruckend auf mich, die 300 Rotkappen meiner Altersklasse auf einem Haufen zu sehen. Es ging nun die steile Rampe hinunter zum Wasser. Dort konnte ich meinen Atem hören, während ich meine Schwimmbrille benäßte und mich ins Wasser begab. Es galt nun etwa 100m bis zur Startlinie zurückzulegen. Fakt ist, ab hier gibt es kein "Zurück" mehr, sondern nur noch ein "Vorwärts", das im Grunde erst in 113km (oder 70.3 Meilen) Entfernung hinter der FINISHLINE endet. Diverse Ordner in Kanus versuchten, die nach vorne drängelnden Athleten zurückzuweisen und die Zeit bis zum Start zu verkünden. Noch 60 Sekunden...
Ich ging in mich, ließ die mir gesetzten Vorgaben (nicht zu schnell losschwimmen, Rhythmus finden, Drängeleien aus dem Weg "gehen"...) durch meine Gedanken wandern... In dem Moment, als ich hörte "10, 9, 8, ..." wusste ich erneut: "KRIBBELN IS A PART OF PASSION!"

Beim Schwimmen geht mir immer das konkrete Zeitgefühl verlsutig. Währendessen weiß ich zumindest nie, ob ich schnell oder langsam bin, geschweige denn, wie lange ich mich überhaupt schon im Wasser befinde. An der Wende schaute ich kurz auf die Uhr und sah, das bereits 17:55min vergangen waren. Kurz vor der Wende hatte das Gedrängel etwas zugenommen, insgesamt hatte ich aber während des gesamten Schwimmens ausreichend Platz, um in meinem Rhythmus zu kraulen. Gegen Ende der Strecke konnte ich die jubelnden Menschen am Schwimmausstieg "verschwommen" hören. Die letzten 100m überholte ich noch einige Mitkonkurrenten, bevor es die steile Rampe hoch zur Wechselzone ging. Diese Strecke legten alle Athleten unter tosendem Applaus zurück. Der Blick auf die Uhr zeigte mir, dass ich mittlerweile 37:50min unterwegs war. Das war minimal mehr als die heimliche Ideal-Marschroute (35-36min), aber allemal o.k.! Ich hatte etwas Schwierigkeiten, mich meines Neoprenanzugs zu entledigen. Auch das Anziehen der Kompressionsstrümpfe war eine zittrig bis unkoordinierte Angelegenheit. Die Helfer im Wechselzelt taten aber ihr Möglichstes, um einen zu unterstützen. Aus dem Wechselzelt raus, ging es zum Rad... Schuhe an und aus der Wechselzone rennen und ab auf die Strecke...

Ich bin sehr froh, dass ich diese - mit 1500 Höhenmetern ausgestattete - Strecke bereits kannte. So wusste ich, was mir bevor stand. Ich hatte mir vorgenommen, meine beste Trainingsleistung (3:20h) um 10, im Idealfall 15min zu unterbieten!!! Also gab ich Gas... Die Strecke war gespickt mit hunderten von Altersklassenathleten, was mächtig motivierend wirkte. Beispielhaft benenne ich jetzt mal die Qual an einem der etlichen Anstiege. Etwa bei Kilometer 15 hat man kurz hinter Kiedrich den ersten 4km-langen Berg zu bewältigen, der einem - gerade vom Schwimmen erholt - gleich das nächste mal den Stecker zieht.
In den kleinen Ortschaften wurde jeder Teilnehmer angefeuert, an den Verpfelgungsstellen rannten die Helfer neben mir her her, um mich zu versorgen, an den Bergen applaudierten die Fans und wir Athleten stachelten uns gegenseitig an, saßen wir doch alle im gleichen - selbst gebuchten - Boot! Ich konnte ordentlich Druck machen und erkannte bald, dass ich mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwas über 31km/h unterwegs war, und das trotz der vielen Höhenmetern.
Die Abfahrten wiederum ließen mich Geschwindigkeiten auf meinem Radcomputer erkennen, die ich so vorher nicht kannte... Als Beispiel hierfür nenne ich mal die 85km/h, die ich auf dem Weg von der "Platte" hinab nach Wiesbaden erreichte. Da wackelt dann aber auch so ziemlich alles, was am Rad dran ist, ICH inklusive... Logisch, was ich da spürte: "KRIBBELN IS A PART OF PASSION!"


Mit ca. 50-60km/h ging es am Ende der Radstrecke durch Wiesbadens Innenstadt... Massive!!! Die Menschenmengen an der Strecke waren nun enorm. Mein Radcomputer blinkte mir von der Anzeige die Zeit 02:57h entgegen! Meine innere Faust ballte sich... 23min schneller als beim besten Trainingstest!!! Die Zeit in der Wechselzone verbuchte ich mit 35sek.! Jetzt kam nur noch das Laufen, worauf ich mich sehr freute! Ich hatte nicht eine Sekunde das Gefühl, das jetzt noch etwas schief gehen könnte. Die beim Radfahren erkämpfte Zeitoptimierung tat ihr Übriges mit meiner Motivation.
Es gab nur ein Problem... Ich musste seit etwa 1,5 Stunden aufs Klo und wusste, dass ich diese Notdurft nicht bis hinter die Ziellinie verschleppen würde können. Also enterte ich die nächstbeste ToiToi-Einrichtung. Dort schien die Zeit, die ich nicht hatte, dann still zu stehen! An dieser Stelle lasse ich die mal die Varianten außen vor, die Triathleten in solchen Misslagen in Erwägung ziehen, um sich ihres Urins bereits auf der Radstrecke zu entledigen...

Es waren drei Schleifen a 7km zu laufen plus 100m als Sahnehäupchen auf der Zielgeraden. Die vielen Menschen auf der Strecke pushten mich ungemein. Jochen, meine Eltern und diverse andere Bekannte potenzierten dieses Gefühl und trieben mich an! Auf der ganzen Halbmarathonstrecke hatte ich lediglich bei ein, zwei Kilometern etwas schwere Beine. Ansonsten lief ich im angestrebten Soll, der da etwa 4:30min/km hieß. Irgendwann fing ich dann doch an, meine finale Wettkampfzeit zu berechnen. Diese konnte ich nicht genau einschätzen, wusste aber dass sie sich in etwa zwischen 05:12 und 05:20h bewegen würde, was weit unter meiner heimlichen Vorgabe lag. Ich versuchte jedoch weiterhin, nur von Kilometer zu Kilometer zu denken. Die Strecke ist jedoch so aufgebaut, dass es zunächst etwa 3,5km leicht bergan, dann jedoch die gleiche Strecke wieder leicht bergab geht. Also sind die letzten 3,5km die, auf denen ich minimale Sekundenverluste des ersten Teilabschnitts wieder weg machte. Ich hatte mir vorgenommen, so ich bis dahin gut durchgekommen sein würde, die letzten 3,5km auf zu machen... Es war wie fliegen! Es machte totalen Spaß. Mehr noch, man könnte man es mit GENUSS beschreiben. Ulrich Pramann hat dies vortrefflich erkannt:

"Genuss ist gewissermaßen die Gymnasialform von Spaß. Spaß haben kann jeder, für den Genuss bedarf es einer gewissen Schulung, einer Verfeinerung des Geschmacks. (Anmerkung jott: I call it Training!!!) Außerdem ist Genuss ein leidender Zustand. Leidend im Sinne von Hingabe." (in: Ulrich Pramann: Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren, S. 26)
"Mich hingebend", so würde ich den Zustand betiteln, in dem ich mich auf den letzten Kilometern - im Grunde während aller drei Disziplinen, jedoch gegen Ende zum Greifen spürbar - befand. Und vielleicht noch um den Begriff FREUDE ergänzen, der noch präziser das Unbeschreibliche - also known as GÖTTERFUNKEN - ins Auge fasst.
Als ich in den Zielkanal einbog, auf dem ich noch einen Mitstreiter im Spurt überholte, gestehe ich mir völlig schamlos leicht wässrige Augen ein, so erhaben doch das Gefühl, die Distanz und die wochenlange Vorbereitung hinter mich gebracht zu haben. Mein Name erschien auf der Anzeigetafel. Darunter die Zeit: 05:16:35h!!! Damit lag ich dermaßen im Soll... Diesen faszinierenden Zustand genoss ich hinter der FINISHLINE, ganz allein, denn den IRONMAN GERMANY 70.3 hatte ich für mich selbst bewältigt!!! A little proud überkam es mich wieder und ich wusste: "KRIBBELN IS A PART OF PASSION"

Abschließend werfe ich mal eine der übergeordneten Fragen zum Themenkomplex "Faszination Triathlon" auf. "Kann Triathlon einen Menschen erfüllen???"
Ich will es mal so sagen: Triathlon ist für mich...
"ein integraler Bestandteil von FREUDE, wiewohl für sich allein nicht ausreichend, um dieses allumfassende Gefühl zu erzeugen. Aber als Basis eines gelungenen Tages oft unverzichtbar." (ebd., S. 26)
Und das war er, der härteste halbe Tag meines Lebens, gelungen!!!

Danke TRIATHLON, mich dir hingeben zu dürfen!!! ;-)

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